Dienstag, 3. März 2009

Walter Jens ...

Apropos "alte, geistig schwer bewegliche Tante aus Nachkriegszeiten" (Stud.gen.): Tilman Jens hat ein Buch über seinen Vater Walter Jens geschrieben (siehe Bild rechts) mit dem Titel "Demenz". Und die "Welt" schreibt über das Buch:

Der Sohn holt zur Diagnose der ganzen Vätergeneration aus. "Die fatale Schweigekrankheit" - litten sie nicht alle an ihr? Dieter Hildebrandt oder Siegfried Lenz oder - natürlich - Günter Grass? Das antifaschistische Bekenntnis war, genau besehen, doch nur "der Leim, der eine ganze Generation von Dichtern und Denkern zusammenhielt". Auch Reich-Ranicki, wen wundert's, bekommt im Vorübergehen noch mal sein Fett ab. (...)
Und warum inszeniert die Familie, inszeniert der journalistisch geschulte Sohn unter dem Flankenschutz der mütterlichen Illustrierten-Interviews dies gespenstische Schauspiel? Damit niemand, auch die Nachwelt nicht, jenem Walter Jens noch eine Zeile abnimmt? (...)
"Aber ich, sein erstgeborener Sohn, fühle mich von ihm um seine Geschichte betrogen."

Ein Video von der jüngsten Lesung in Tübingen gibt es auch (--> Tagbl). Sven Felix Kellerhoff zitiert aus diesem Anlaß einmal auf's Neue Günther Grass (Welt):

... Auf die Frage, wie er sich die Reaktion mancher Betroffener erkläre, die teils leugnen oder sich nur Stück für Stück erinnern, meinte Grass Ende 2003: „Ich kann es nur von meiner eigenen Biografie her erklären. Diese Befangenheit in der Ideologie des Nationalsozialismus ist eine Periode, in der ich mich im Rückblick als eine völlig fremde Person begreife und mir mein Verhalten nicht erklären kann.“

Die Bundesrepublik lebt also seit Jahrzehnten mit "Unerklärlichem", sie, die rechthaberische, ach, so aufgeklärte, emanzipierte, allwissende. - Ganz offensichtlich haben wir es auch hier mit Phänomenen des "Brainwashing", mit der "Physiologie von Konversionen" zu tun, wie sie von dem britischen Psychiater William Sargant erforscht worden sind (s. GAj).

2 Kommentare:

A.O. hat gesagt…

Ich leide selbst unter der Krankheit meines Vaters, der an Demenz mit Alzheimer-Hintergrund leidet und seit Jahren ein Pflegefall ist. Ich leide wirklich darunter, körperlich und seelisch. Auch ich habe dieses Gefühl, das mir seine Geschichte genommen wurde. Wir wollten noch so viel machen, wenn er erstmal im Ruhestand gewesen wäre. Und als er es war, wurde er krank. Aber es war nicht er, der mir seine Geschichte gestohlen hat - es ist diese Krankheit, die ihn mir genommen hat, obwohl er noch da ist. Aber er kennt mich nicht mehr und nur manchmal lächelt er mich an, in seinen wenigen halbwegs klaren Augenblicken und dann bin ich glücklich, weil ich glaube, er fühlt meine Liebe zu ihm, die erst zu dem wurde, was sie ist, als er es nicht, oder nur noch bruchstückhaft wahrnehmen konnte.

Liebe Grüße sendet andrejo

Ingo hat gesagt…

Eine gute, informationsreiche Rezension zu einer parallelen, vergleichbaren Biographie gibt Jan Assmann in der FAZ: "Rudolf Kreis - Die Toten sind immer die anderen":

http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~E597CAAFF19B84C7EBF7D0E92D70F3D7D~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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