Samstag, 11. Juli 2015

Atheistische Gottesdienste ohne Gott

Die neuen "Sonntagsversammlungen" ("Sunday Assemblies") der Atheisten

Die Sonntagsversammlungen der Atheisten machen von sich Reden (Wiki, ARD, Berliner Sunday Assembly, Facebook, Twitter). In jeder großen Tages- und Wochenzeitung und in jedem größeren Sender hat es darüber schon Berichte gegeben, worüber man sich im Internet leicht einen Überblick verschaffen kann. 

Abb.: Auch auf Betterplace.org
Und meist kommt nun Befürworten wie skeptisch Beobachtenden als erstes der Gedanke in den Kopf, hier würde der sonntägliche Gottesdienst der Kirchen mehr oder weniger bewusst nachgeahmt. "Gottesdienst ohne Gott".

Aber so kann eigentlich nur jemand argumentieren, der den Blick noch immer nicht über den "christlich-abendländischen" Tellerrand geworfen hat. Wie die Ausgrabungen in Mitteleuropa und weltweit ständig aufs Neue ergeben, haben sich menschliche Gemeinschaften schon spätestens seit dem Beginn der Sesshaftigkeit (in Mitteleuropa um 5.800 v. Ztr.) in Gemeinschaften zusammen gefunden, um Gemeinschaft zu erleben, um Jahresfeste im Sonnenlauf zu feiern, um sich auf das Wesentliche in ihrem Leben zu besinnen, um sich und das Leben zu feiern, um über das Universum zu staunen, es zu erforschen, um zu singen und zu tanzen oder auch um der Toten zu gedenken. 

Dass auf all das nun ausgerechnet die christlichen Kirchen einen Monopolanspruch haben sollen, mutet schon reichlich abstrus und kurzsichtig an. Es zeigt einmal wieder so ein bisschen, wie verquer und geschichtsvergessen weithin unser Denken heute ist, bzw. geworden ist. Die Christen haben doch in den Jahrhunderten, in denen sich ihr Glaube in Europa ausbreitete, selbst überall vor Ort an die einheimischen Traditionen angepasst, einheimische heilige Orte in christliche heilige Orte umgewidmet (oder auch in verrufene, teuflische), einheimische heilige Tage in christliche umgedeutet. Warum soll nicht Christliches, ursprünglich Heidnisches erneut umgedeutet werden, um angemessen zu sein heutigen Zeiten und Zeitempfinden?

Unsere Wochentage sind keine christlichen

Man nehme doch nur den deutschen Begriff "Sonntag". Ist das etwa ein ausgesprochen christlicher Wochentagsname? Seit wann spielt die Sonne im Christentum eine so herausragende Bedeutung, dass nach ihr ein Wochentag benannt werden würde? Nein, unsere heutigen Wochentage stammen entweder aus dem antik-griechisch-römischen oder aus heidnisch-germanischen Lebenswelt. Und man nehme doch nur auch all die anderen Wochentage. Sie deuten - im Englischen oft noch deutlicher als im Deutschen - alle auf heidnische Ursprünge zurück: der Mond-Tag, der Tius-Tag (die Germanen verehrten den indogermanischen höchsten Gott Tius, der dem griechischen Zeus entspricht), der Wotans-Tag, der Donnars-Tag, der Freias-Tag - alle benannt nach heidnischen germanischen Göttern und Göttinnen. Schon Kaiser Karl der Große hatte übrigens auch die zu seiner Zeit (um 800 n. Ztr.) noch gut bekannten germanischen Monatsnamen sammeln lassen (Hartung, Hornung, Lenzig, Wonnemond, ...). Und so könnte vieles auf dieser Linie weiter gesagt werden.

"Atheistische Sonntagsversammlungen" sind somit nur eine Besinnung auf die 7.800 Jahre alte europäische Jahresfeier- und Gemeinschaftskultur. Und sie sind eine Weiterführung derselben. "Spiritueller Atheismus" wird das dann auch gerne genannt. Denn jedes Kind muss ja einen Namen haben. Dieser Blog hat auch langsam das Gefühl, dass sich "Atheismus" heute besser, zugkräftiger verkauft, als jede andere Form von "Nichtchristlichkeit". Das kommt, weil über andere Formen von Nichtchristlichkeit noch weniger in den großen Medien gesprochen wird als über Atheismus. Also sollte man sich womöglich auch bald einen ... "spirituellen Atheisten" nennen!

Nachdem ich hier in Berlin vor drei Jahren mit meiner damals 2-jährigen Tochter ein Eltern-Kind-Cafe suchte und nur ein solches ganz unkompliziertes in der Evangelischen Gemeinde gleich um die Ecke fand, sagte ich mir, dass es so etwas doch auch für Kirchenfreie geben müsste. Und so fragte ich beim Humanistischen Verband meines Stadtteiles nach. Dort aber war man auf diese Idee noch gar nicht gekommen!

Die Suche nach einer Gemeinschafts- und Feierkultur jenseits der christlichen Lebenswelten ist in den mitteleuropäischen Lebensreformbewegungen am Anfang des 20. Jahrhunderts sehr intensiv betrieben worden. Die alte Volkslied- und Volkstanzkultur Mitteleuropas wurde wiederbelebt. Im legendären Liederbuch des Wandervogels, im "Zupfgeigenhansel", waren sie alle versammelt, die so beseelten Lieder unserer Geschichte. Hans Breuer, ein junger Medizinstudent, der im Ersten Weltkrieg fiel, hatte sie gesammelt und herausgegeben: "Es waren zwei Königskinder", "Innsbruck, ich muss dich lassen" und so viele andere Lieder, zu denen dann die Liederdichter der ersten Jahrzehnte das 20. Jahrhunderts so viele neue hinzufügten.

Nachdem diese Bestrebungen und der damit verbundene Idealismus, die damit verbundenen Sehnsüchte im Jahr 1933 vom Nationalsozialismus "gehijackt" worden waren und in den weiteren Jahren pervertiert worden waren bis zur Unkenntlichkeit und nachdem als Gegenbewegung gegen diese pervertierten Bestrebungen die individualistische, amerikanische Jugendkultur der 1950er und 1960er Jahre gesetzt worden war, waren über die geschichtestürzenden Ereignisse des Zweiten Weltkrieges hinweg die oft so tief beseelten Aufbruchbewegungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts völlig an den Rand gedrängt, ja, vergessen worden.

Allen, die noch irgendwie daran hingen, wurde die Schnulzenkultur des Fernsehns geboten und wurden damit "zufriedengestellt" und auf Passivität umgepolt.

Ob jetzt eine aus uns selbst gestaltete Rückkehr gelingt? Ob wir noch ein "aus uns rollendes Rad" sind (wie Nietzsche dies nannte)? Die Ansätze jedenfalls klingen vielversprechend. Noch hört man keinen wirklich schiefen Ton hindurch. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

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